Mit flexiblem Risikomanagement durch die Krise navigieren
Es lohne sich nicht, in der Krise auf ein starres Risikomodell zu setzen, sagt Martin Stürner. Hier erläutert der PEH-Chef und Fondsmanager, wie sich Risiko stattdessen flexibel steuern lässt und welche Indikatoren dabei hilfreich sind.
Das Blutbad an der Börse hat noch kein Ende gefunden. Nachdem alle Aktienindizes weltweit im Zuge der Ausbreitung des Coronavirus einen Crash mit einer Geschwindigkeit wie noch nie zuvor hinlegten, gleichen die Kursverläufe nun täglich einer Achterbahnfahrt. Gerade in solch volatilen Zeiten wird deutlich, dass erfolgreiches Asset Management nicht nur die Selektion der performancestärksten Aktien umfasst, sondern auch die Absicherung von Risiken am Kapitalmarkt. Denn aus Gewinnen sollen nicht plötzlich Verluste werden. Dabei bietet ein flexibles Risikomanagement die Chance, auf Krisen dynamisch reagieren zu können.
Flexibles Risikomanagementsystem kann jede Krise individuell managen
Ein starres Risikomodell, das sich womöglich in einer Krise bewährt hat, kann sich in der nächsten Krise als hinfällig erweisen. Die Herausforderung für den Asset Manager besteht darin, frühzeitig zu erkennen, ob die installierten Risikoparameter zum jeweiligen Zeitpunkt die richtigen Signale liefern. Ein flexibles Risikomanagementsystem, das eventuell auch mit digitaler Hilfe eine breite Datenbasis täglich auswertet und die Risikoparameter an die jeweilige Marktsituation kurzfristig anpassen kann, liefert einen effektiveren Risikomanagementansatz. Dabei gilt es, in Krisensituationen zur Eingrenzung von Risiken schnell und sehr konsequent zu handeln.
Kurzfristige Indikatoren, die engmaschig überwacht und analysiert werden, sind in Krisen längerfristigen Signalen deutlich überlegen. Die Risikoparameter maximaler Drawdown und Volatilität haben sich – im Gegensatz zu anderen Risikomaßzahlen wie der Value at Risk – als valide Seismographen erwiesen. Nun ist es an der Zeit, in den Ultra-Kurzfrist-Modus zu schalten. Denn steigt die Volatilität im Markt an, wird den kurzfristigen Indikatoren im Anlagesystem ein höheres Scoring zugewiesen. Dies bedeutet, dass die Risikoparameter wie der maximale Drawdown nun auf Tages- oder allenfalls Wochenbasis ausgewertet werden.
Kompromisslose Steuerung der Aktienquote notwendig
Ein noch so gutes Risikoerkennungssystem bleibt allerdings vollständig wirkungslos, wenn der Asset Manager die daraus resultierenden Handlungsanweisungen nicht umsetzen kann oder will. Der Long-Only-Aktienfonds, der im Crash seine Investitionsquote heldenhaft von 100 auf 90 Prozent reduziert, hat kaum eine Chance, Verluste zu vermeiden. Eine aktive, schnelle und vor allem drastische Steuerung der Aktienquote ist vornehmste Pflicht des Portfolioverwalters und unabdingbar, um Risiken einzugrenzen. Die Spanne für wirkungsvolles Krisenmanagement sollte von 0 bis 100 Prozent Quote reichen, und der Vermögensverwalter sollte sich nicht scheuen, das untere Ende auch auszuloten. Dabei müssen die Positionen nicht unbedingt alle glatt gestellt werden, eine Absicherung durch den Kauf von Long Puts auf Einzelaktien und den Verkauf auf Index-Futures ist häufig sogar schneller umsetzbar.
Natürlich, bei diesem Ansatz schwingt immer die Angst mit, beim folgenden Aufschwung quasi mit heruntergelassenen Hosen an der Seitenlinie zu stehen und das Upside zu verpassen. Dieses Szenario ist nicht unrealistisch, allerdings ist Angst bekanntermaßen oft ein schlechter Ratgeber. Entsprechend helfen auch in dieser Situation nur Konsequenz und Flexibilität. Denn nur ein Asset Manager, der Risiken zu vermeiden und Chancen zu nutzen sucht, ist erfolgreich. Andernfalls bestünde das wirkungsvollste Risikomanagement schließlich immer darin, 100 Prozent Kasse zu halten.
Der Asset Manager muss auch in dieser Situation den Indikatoren, die sein System liefert und die sich in der gegenwärtigen Situation als aussagekräftig erwiesen haben, trauen. Signalisieren sie, dass es an der Zeit ist, wieder in den Markt einzusteigen, dann heißt die Devise: Machen! Nicht von den eventuell noch tiefroten Kursen verschrecken lassen und der eigenen Angst nachgeben. Aber, und dieses „Aber“ ist leider unvermeidlich, die engmaschige Kontrolle der Indikatoren und ihrer gegenwärtigen Aussagekraft bleibt weiter unerlässlich. Ohne den täglichen, ja stündlichen Check, ob die bisherigen Signale wirklich noch „funktionieren“, geht es nicht. Das Motto „Das war schon immer so (oder zumindest in der letzten Krise)“, ist gefährlich.
Wenn mich Anleger fragen, wann die Börsenkrise zu Ende ist, kann ich deshalb aktuell nur mit den Schultern zucken. Ich weiß es nicht, die Indikatoren werden es mir anzeigen. Meine Aufgabe ist es, die leistungsstärksten Indikatoren für die aktuelle Situation zu identifizieren – und als guter Chance- Risikomanager eine Strategie zu entwickeln, welche Sektoren als nächstes ganz vorne mit dabei sind. Die aktuelle Pandemie und ihre Auswirkungen auf unser Leben und die Realwirtschaft bestärken mich in der Überzeugung, dass die ganz großen Technologieunternehmen zu den langfristigen Gewinnern gehören werden. Amazon, Netflix, Microsoft und Co. haben in den vergangenen Wochen einmal mehr unter Beweis gestellt, dass Digitalisierung aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist und der Trend weitergeht. Zum Risikomanagement gehört auch, – wenn die Zeit dafür wieder gekommen ist – diesen Trend nicht zu verpassen.
Über den Autor:
Martin Stürner ist Vorstandsvorsitzender des Finanzdienstleisters PEH. Er ist zudem verantwortlicher Fondsmanager des PEH Empire Fonds.